Edge Computing auf einen Blick
Was IT-Verantwortliche im Mittelstand über das neue Architektur-Paradigma wissen sollten
Dr. Andreas Stiehler und Henrik Hasenkamp setzen sich im Rahmen der gridscale-Analyse-Reihe »Zwischen Himmel und Erde« intensiv mit dem Thema Edge Computing und dessen Relevanz für den deutschen Mittelstand auseinander. Im nachfolgenden Beitrag liefern sie gebündelte Antworten auf die zehn wichtigsten Fragen zum Thema. Ein kompakter Einstieg für IT-Entscheider in mittelständischen Unternehmen.
1. Was ist Edge Computing?
Kurz gesagt: Edge Computing bezeichnet eine verteilte Architektur, die darauf abzielt, Rechen-, Speicher- oder Netzwerkleistung in die Nähe der Orte zu bringen, wo die Daten generiert und Anwendungen benötigt werden – also an den Rand (Edge) des Netzwerkes.
Diese Idee ist nicht neu. Zu den Vorläufern oder anwendungs- bzw. anbieterspezifischen Ansätzen, die auf einer ähnlichen Grundidee fußen, zählen u. a. Fog Computing, Content Delivery Networks (CDN), Cloudlets, Mobile Device Clouds, Intelligent Transport Systems Clouds (ITS- Clouds) oder VANET (Vehicular Ad Hoc NETworks)- Clouds. Letztlich hat sich Edge Computing als übergreifendes dezentrales Architekturparadigma in der Fachwelt durchgesetzt.
Prinzip und Funktionalität des Edge Computings haben wir hier nochmal ausführlich beschrieben.
2. Welche Vorteile bietet das neue Architektur-Paradigma?
Im Vergleich zu zentralisierten Architektur-Ansätzen bietet Edge Computing vier zentrale Vorteile: kurze Latenzzeiten, geringere benötigte Bandbreite, niedrigere Kosten und eine größere Kontrolle (im Hinblick auf Sicherheit und Datenschutz). Diese Vorteile kommen je nach Anwendungsfeld und -ort unterschiedlich stark zum Tragen. Besonders ausgeprägt zeigen sie sich bei Bandbreiten-intensiven und Latenz-empfindlichen Anwendungen sowie Anwendungsorten mit geringer Netzabdeckung.
3. Wie verhält sich Edge zu Cloud Computing?
Gleich vorweg: Edge Computing wird Cloud Computing nicht ablösen! Vielmehr ergänzen sich beide Architekturmodelle. Im Ergebnis erweitert sich mit Edge Computing das Spektrum an Möglichkeiten für das Design der IT-Architektur. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem Edge-Cloud-Kontinuum, aus dem sich die Unternehmen bei der Realisierung von Anwendungsszenarien bedienen können. Tatsächlich bauen viele innovative Use Cases heute auf hybriden Architekturen auf – also einen Mix aus Edge- und Cloud-Infrastrukturen mit unterschiedlich starker Ausprägung.
4. Warum gewinnt Edge Computing derzeit an Bedeutung?
Im Kern sind es vier Faktoren, welche die Entwicklung des Themas derzeit vorantreiben:
- Fortschreitende Cloudifizierung der IT-Anwendungslandschaft, womit auch die Risiken des Cloud-Modells zunehmen bzw. offensichtlicher werden;
- Zunehmende Ressourcenknappheit (Fachkräfte, Energie), die zur Realisierung innovativer Edge-basierter Anwendungsszenarien anregt;
- Rasant fortscheitende Technologieentwicklung und -reife, u. a. bei der Edge-Hardware, aber auch im Hinblick auf GPU-Kapazitäten, Cloud-Native-Technologien und -Konzepte, Netzwerkausbau (5G) und natürlich im KI-Umfeld.
- Marktfähige Edge-Angebote von führenden Cloud-, Hardware- und Telekommunikationsanbietern ebenso wie durch eine wachsende Anzahl lokaler Akteure, die mit Angeboten für den Mittelstand aufwarten.
5. Was ist bei der Planung einer Edge-Architektur zu bedenken?
Im Wesentlichen drei Dinge:
- Erstens sollte die Edge-Architektur-Planung immer vom konkreten Use Case ausgehen. Zunächst gilt es also, den geschäftlichen Bedarf zu analysieren sowie relevante Anwendungsfälle und die hierfür erforderlichen Workloads zu identifizieren.
- Zweitens sollte der Wahl eines Edge-Architektur-Modells eine umfassende Abwägungsentscheidung vorausgehen, wobei Cloud Computing den Benchmark bildet.
- Drittens gilt es, aus der Vielfalt an Möglichkeiten innerhalb des Cloud-Edge-Kontinuums den für den jeweiligen Anwendungsfall passenden Architekturmix auszuwählen.
6. Gibt es ein Framework, auf das die Unternehmen bei der Planung von Edge-Anwendungen aufsetzen können?
Tatsächlich werden derzeit von unterschiedlichen Anbietergruppen verschiedene (vermeintliche) Edge-Architektur-Modelle zur Diskussion gestellt, die sich aber bei genauerer Betrachtung wegen der anbieterzentrierten Perspektive als wenig hilfreich erweisen.
Als neutralen und für die Praxis hilfreichen Ansatz empfehlen wir dagegen das Edge Computing Framework der Linux Foundation. Ausgehend von der Unterscheidung nach User Edge, Service Provider Edge und Cloud Edge rückt es das gesamte Cloud-Edge-Kontinuum in den Blickpunkt. Die darauf aufbauende Diskussion der Charakteristika verschiedener Computing-Möglichkeiten innerhalb dieses Spektrums bietet eine fundierte Grundlage, um die mit der Spezifikation des Architekturmodells verbundenen Abwägungen vorzunehmen.
7. Wie stark ist Edge Computing hierzulande verbreitet?
Die Einschätzungen und Vorhersagen führender Analystenhäuser deuten auf ein dynamisches Wachstum in diesem Segment hin – ausgehend von einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Bei Anbietern von Edge-Speziallösungen, wie dem Serverhersteller Thomas-Krenn AG, spiegelt sich diese Dynamik bereits in den Verkaufserlösen wider. Insgesamt befindet sich die Umsetzung innovativer Edge-basierter Anwendungsszenarien hierzulande aber noch in der Frühphase.
8. Welche Anwendungsszenarien werden im deutschen Mittelstand bereits umgesetzt?
Einerseits werden Edge-Komponenten bereits seit Jahren in vielen hybriden Cloud-Lösungen im Mittelstand implementiert. Allerdings eher als Notnagel, wenn eine Cloud-Migration nicht möglich ist. Anderseits beobachten wir immer mehr innovative Anwendungsszenarien, deren Realisierung vor einigen Jahren – als die Edge-Technologien weniger ausgereift waren und digitale Transformation in vielen Unternehmen noch in den Startlöchern stand – nicht denkbar gewesen wäre.
Beispiele hierfür sind:
- Intelligente Regalsysteme im Handel
- Softwareverteilung in der Automobilindustrie
- Überwachung von Fischtreppen, Bienenstöcken und Weinbergen
- Herdenmanagement in der Landwirtschaft
- Wartung von Bohrtürmen (und vieler weiterer Maschinen)
- Smart Metering in der Energiewirtschaft
9. Was ist bei der Umsetzung von Edge Computing in der Praxis zu beachten?
Edge Computing ist kein Selbstzweck. Die Grundlage sollte eine Strategie sein, die vom konkreten Bedarf des Unternehmens ausgeht und auf fundierten Abwägungen mit Blick auf die Wahl des Computing-Modells basiert. Zweitens erfordert Edge Computing ein reibungsloses Zusammenspiel verschiedener Komponenten und Dienste. Deshalb sollten die relevanten Anbieter und Dienstleister schon bei der Planung mit ins Boot geholt werden.
10. Welche Anbieter sollten bei der Umsetzung von Edge-Anwendungsszenarien als Lösungspartner in Betracht gezogen werden?
Die Realisierung innovativer Edge-basierter Anwendungsszenarien ist kein Massengeschäft, sondern kleinteilig, vielschichtig und hochgradig individuell. Große, global aufgestellte Anbieter tun sich in einem solchen Umfeld eher schwer – erst recht, wenn es um die Betreuung von Mittelstandskunden geht. Deshalb lohnt es sich, in diesem Bereich nach Lösungspartnern zu suchen, die sich auf die Belange mittelständischer Unternehmen einlassen und mit kleineren Stückzahlen profitabel wirtschaften können.
Du willst noch tiefer in das Thema einsteigen? Die drei Reports aus der gridscale-Reihe »„Zwischen Himmel und Erde« bieten ausführliche Erläuterungen zur Relevanz von Edge Computing für den deutschen Mittelstand, einschließlich hilfreicher Illustrationen, Expertensichten und verfügbarer Marktzahlen.
- Teil 1 (Intro) stellt das Edge-Computing-Konzept und dessen Besonderheiten vor. Wir zeigen, warum das Thema gerade jetzt auf die Agenda rückt und diskutieren ausführlich, wie Edge und Cloud Computing zusammenspielen.
- Teil 2 (Architektur) setzt sich mit Fragen zur Auswahl und Planung von Edge-Architekturen auseinander. Wir stellen das Framework der Linux-Foundation als hilfreiche Grundlage für die Architekturplanung vor und diskutieren dessen Einsatzmöglichkeiten.
- Teil 3 (Praxis) wird schließlich, welche Rolle das Thema derzeit im deutschen Mittelstand spielt und welche Edge-Anwendungsszenarien bereits umgesetzt werden. Grundlage hierfür bilden die Auswertung von Analysteneinschätzung und Studien sowie Tiefeninterviews mit zwei ausgemachten Experten, die eine große Erfahrung bei der Realisierung Edge-basierter Lösungen im Mittelstand aufweisen.