Endstation Public Cloud!?
Warum die Verbreitung des Public-Cloud-Modells im deutschen Mittelstand stagniert
Sie wächst und wächst und wächst. Die Schlagzeilen, mit denen der Cloud-Monitor, eine jährlich von Bitkom Research im Auftrag der KPMG durchgeführte repräsentative Erhebung zur Verbreitung des Cloud-Modells in deutschen Unternehmen, seit bereits mehr als 10 Jahren auf sich aufmerksam macht, gleichen sich fast bis aufs Wort. Ja, das Cloud-Modell ist auf dem Vormarsch, auch in diesem Jahr. Und doch zeigt sich bei genauerer Betrachtung ein kleiner Haken.
Private Cloud verbreitet sich weiter, Public-Cloud-Verbreitung tritt auf der Stelle
Der Anteil der Cloud-nutzenden Unternehmen nahm im Vergleich zum Vorjahr um etwa 2 Prozentpunkte zu. Das ist nicht berauschend, aber bei mehr als 80 % Cloud-Nutzung hierzulande waren geringere Wachstumsraten zu erwarten. Nicht zu erwarten aber war vor das magere Wachstum bei der Public-Cloud-Nutzung.
Während die Verbreitung von Private-Cloud-Infrastrukturen im Vergleich zum Vorjahr 2021 immerhin noch um stattliche 4 Prozentpunkte – von 63 auf 67 Prozent – stieg, stagnierte die Neukundengewinnung im Public-Cloud-Segment nahezu. Und dies auf einem Niveau von 47 Prozent – weit entfernt also von einer Marktsättigung.
Inwieweit nutzt Ihr Unternehmen bereits Cloud Computing bzw. plant/diskutiert den Einsatz?
Ablösung der Private durch Public Clouds nicht in Sicht – und auch nicht sinnvoll
Anlass genug, etwas genauer hinzuschauen. Schließlich widersprechen die aktuellen Resultate des Cloud-Monitors der hierzulande verbreiteten These, wonach die Public-Cloud-Angebote der Hyperscaler das Wachstum im Cloud-Segment antreiben. Und dies trotz der immensen Marktmacht und Innovationskraft von Amazon, Microsoft & Co. sowie deren intensiven Bemühungen zur Erschließung des deutschen Marktes.
Wie aber lassen sich die Resultate erklären? Klar scheint zunächst: Die Entwicklung bei den Computing-Paradigmen verläuft nicht einseitig – hin zu immer stärker zentralisierten Architekturen. Auch eine Ablösung von Private Clouds durch Public Clouds – wie von vielen Marktbeobachtern lange gemutmaßt – zeichnet sich derzeit nicht ab. Ganz im Gegenteil: Dezentrale Formen der Bereitstellung von IT-Ressourcen gewinnen eher (wieder) an Bedeutung – wie unsere aktuelle Analyse-Reihe zum Thema Edge Computing verdeutlicht.
Denn eine rein (Public-)Cloud-basierte Bereitstellung birgt neben vielfältigen Vorteilen eben auch gravierende Risiken, einschließlich hoher Latenzzeiten, Kosten für die Datenübertragung bishin zu Bedenken in Hinblick auf Sicherheit und Compliance. Und je stärker die Cloud-Verbreitung – das ist das Paradoxon – desto spürbarer werden die damit verbundenen Risiken. Hinzu kommt, dass die Unternehmen bei der Spezifikation ihres Cloud-Modells offensichtlich genau solche Themen in den Fokus rücken. So stehen die Leistungsfähigkeit und Stabilität der Cloud-Architektur ebenso wie das Vertrauen in Sicherheit und Compliance laut Cloud-Monitor 2022 ganz oben auf der Kriterienliste der Verantwortlichen bei der Auswahl von Cloud-Providern.
Wie wichtig sind die folgenden Kriterien und Leistungen bei der Auswahl eines Cloud-Providers für Ihr Unternehmen?
Public Clouds sind auch in der Edge-Welt gefragt, dennoch stagniert die Verbreitung
Angesichts der skizzierten Risiken und des Trends in Richtung Edge Computing wird deutlich, warum hierzulande viele Unternehmen weiterhin auf Privat Clouds setzen. Die Stagnation bei der Public-Cloud-Verbreitung lässt sich damit jedoch nicht erklären. Denn Public Clouds haben auch in der sich manifestierenden Edge-Welt ihre Berechtigung. Edge bietet schließlich keine Alternative zum Cloud Computing, sondern weitet nur die Möglichkeiten zur Bereitstellung der IT-Infrastruktur aus. Die Verantwortlichen müssen sich in der Praxis also nicht grundsätzlich zwischen Cloud und Edge oder zwischen Public Cloud und Private Cloud entscheiden. Sie sind vielmehr gefordert, für den jeweiligen Use Case einen passenden Architekturansatz zu finden – wobei in vielen Fällen auch eine Kombination aus zentraler und dezentraler Bereitstellung von IT-Ressourcen vorstellbar und vielfach sinnvoll ist.
Das heißt: Es gibt einen immensen Bedarf an modernen hybriden IT-Architekturen – mit Public Cloud als integralem Bestandteil. Immerhin birgt dieses Bereitstellungsform das größte Potenzial zu Kosteneinsparungen, dem laut Cloud Monitor mit Abstand wichtigsten Ziel bei der Umsetzung von Cloud-Strategien. Dennoch verzichten bislang mehr als 50 Prozent der Unternehmen hierzulande auf die Public-Cloud-Nutzung – wobei immerhin 28 Prozent diese entsprechende grundsätzlich in Betracht ziehen, nur bislang nicht umsetzen. Was aber lässt diese Akteure zögern bzw. was macht die Gewinnung dieser potenziellen Public-Cloud-Nutzer so schwer?
Hyperscaler-Angebote lassen Service-Lücke – Kostenvorteile werden obsolet
Offensichtlich – so meine Deutung – sind die Angebote der im Public-Cloud-Segment dominierenden Hyperscaler, also der großen internationalen Cloud-Plattformen für einen großen Teil der Unternehmen hierzulande nicht ausreichend attraktiv. Die Kostenvorteile– eigentlich ein Hauptargument für die Public Cloud-Nutzung – kommen nicht zum Tragen.
Wie das?! Sicher, in puncto Nutzungsentgelte sind Amazon, Microsoft & Co. unschlagbar. Vergessen wird jedoch, dass sich die Cloud-Kosten nicht allein auf Gebühren für die Bereitstellung von IT-Ressourcen beschränken, sondern u. a. auch die Lösung von Problemen im Zusammenhang mit der Public-Cloud-Migration einschließen.
Und davon gibt es zuhauf. Tatsächlich berichten mehr als zwei Drittel der vom Cloud-Monitor befragten Public-Cloud-Nutzer von Schwierigkeiten bei der Integration der Public-Cloud-Lösung in bestehende Infrastrukturen während der ersten 12 Monate:
Gab es in den letzten 12 Monaten Probleme bei der Integration der Public-Cloud-Lösung in die bestehende IT-Infrastruktur?
Bei der Klärung solcher Probleme aber bleiben kleinere Unternehmen meist auf sich allein gestellt. Eine individuelle Betreuung oder gar einen Support durch persönliche Ansprechpartner oder Service Manager können Mittelstandskunden bei den großen internationalen Cloud-Anbietern nicht erwarten. Stattdessen müssen sie sich in der Regel mit standardisierten Online-Hilfen, User-Foren oder Chat-Bots begnügen. Klar könnte man für solche Fälle professionelle Dienstleister beauftragen oder Cloud-Experten anstellen. Dies aber kostet Geld. Und je geringer die Cloud-Volumina, desto stärker fallen solche Aufwände ins Gewicht.
Ergo: Kleine und mittelständische Unternehmen mit begrenzten Cloud-Volumina und ebenso begrenzten IT-Ressourcen profitieren in der Gesamtkostenbetrachtung ungleich weniger bis gar nicht von Möglichkeiten zur Kostensenkung durch Public-Cloud-Angebote der Hyperscaler. Dies dürfte auch deren Zurückhaltung bei diesem Thema erklären.
Suche nach mittelstandskonformen Alternativen gewinnt an Bedeutung
Wer nun darauf hofft, dass die großen Plattformen auf absehbare Zeit ihren Kundenservice gegenüber dem hiesigen Mittelstand ausweiten, hofft vermutlich vergebens. Dies passt schlicht nicht in deren Geschäftsmodell bzw. liegt nicht in deren DNA. Stattdessen sollten sich die Verantwortlichen in den Unternehmen (und deren Berater) nach Alternativen umschauen. So etablieren sich im deutschen und europäischen Markt immer mehr lokale Akteure mit mittelstandskonformen Public-Cloud-Angeboten.
Als Beispiel hierfür verweise ich gerne auf die Schweizer hosttech, mit deren Kunden ich im Rahmen eines Whitepaper-Projektes intensiv sprechen konnte. Die Analyse zeigt, dass sich die Suche nach Alternativen jenseits der großen Plattformen, die sowohl mit modernen Public-Cloud-Infrastrukturen als auch mit einem guten Service-Angebot aufwarten, schwierig gestaltet. Nicht überall, wo Public Cloud draufsteht, ist auch wirklich Public Cloud drin. Aber die Suche lohnt sich, wie die begeisterten Kundenstimmen im Whitepaper belegen.
Resümee: Blick über den Tellerrand gefragt
Die Ergebnisse des Cloud-Monitors 2022 bieten Anlass, die Cloud-Entwicklung und auch den Cloud-Angebots-Markt weniger eindimensional zu betrachten. Die Public Cloud ist nicht der Weisheit letzter Schluss und die Hyperscaler sind nicht alternativlos. Das Architekturmodell der Wahl im Mittelstand hierzulande – so zeigt sich einmal mehr – ist eben nicht die Public oder Multi Public Cloud, sondern die »Hybrid Cloud«. Und das ist auch gut so, gerade im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung von Edge Computing.
Die Public Cloud bleibt auch in diesem Rahmen ein wichtiger Baustein, erfordert jedoch mittelstandskonforme Angebote. Dass es an solchen mangelt bzw. die auf kleine und mittelständische Unternehmen fokussierte Public-Cloud-Anbieter im Schatten der großen Plattformen weniger sichtbar sind, erklärt die Zurückhaltung bei diesem Thema. Für die Marktentwicklung wäre es daher hilfreich, wenn die Unternehmen selbst, aber auch Berater, Analysten oder Journalisten lokale Alternativen zu den großen internationalen Plattformen stärker in den Fokus rücken.
Dr. Andreas Stiehler
Dr. Andreas Stiehler begleitet als IT-Analyst, Autor und Berater
seit mehr 20 Jahren Forschungs- und Beratungsprojekte zum
digitalen Wandel. Seine Kernthemen sind hierbei Digital Work &
Digital Workplace, Kundenservice im digitalen Wandel sowie das
Management von Wissensarbeit(ern). Der promovierte Volkswirt
mit Schwerpunkt auf Verhaltensökonomie setzt sich dafür ein,
den digitalen Wandel ganzheitlich zu betrachten und dabei die
Menschen stärker in den Fokus zu rücken.
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Nachlese: Weitere ausgewählte gridscale-Artikel und Studien zum Thema
- gridscale Spotlight Paper: „Edge Computing zwischen Himmel und Erde”, 2022
- gridscale Whitepaper: “hosttech virtual Datacenter: Cloud Services auf Augenhöhe”, 2022
- gridscale e-paper: „Gefangen in der Public Cloud!?“, 2021
- gridscale Studie: „Zehn Stellschrauben der Cloudifizierung im gehobenen Mittelstand“, 2021
- gridscale Spotlight Paper: „Erfolgreiche SaaS-Angebote brauchen ein starkes Fundament“, 2021