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Digitale Souveränität im Mittelstand!?

Wie eine selbstbestimmte Cloud-Migration gelingen kann

Nicht nur die Politik hierzulande erlebt derzeit eine Zeitenwende, auch die Wirtschaft. Denn die Risiken einer global vernetzten Wirtschaft lassen sich angesichts von Ressourcenmangel, Energiekrise und gestörten Lieferketten im Zuge der Pandemie und des Krieges in der Ukraine nicht mehr ignorieren. Der einseitige Blick auf die Effizienz mochte gestern noch genügen. Im Wettbewerb heute aber haben diejenigen Akteure die Nase vorn, die trotz des sich verändernden Umfelds in der Lage sind, selbstbestimmt zu agieren.
Kurzum: Digitale Souveränität gerät zum zentralen Wettbewerbsfaktor und rückt als solche in den Fokus.

Digitale Souveränität gewinnt an Bedeutung

So auch in der IT, wo der Begriff der „digitalen Souveränität“ immer mehr an Bedeutung gewinnt. Und dies zu Recht, wie die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung zeigt. Es genügt eben nicht, die Digitalisierung auf Teufel komm raus voranzutreiben und darauf zu vertrauen, dass die Daten irgendwie geschützt sind bzw. implementierten Dienste, Anwendungen oder Infrastrukturen auch morgen noch in gleicher Qualität und zu ähnlichen Kosten zur Verfügung stehen. Stattdessen sollten die mit der Digitalisierung einhergehenden Risiken eingegrenzt werden, eine so selbstbestimmte Digitalisierung heute und in Zukunft zu gewährleisten.

Wie aber kann das gelingen? „Digital Souveränität“ – so lernt man bei Wikipedia – steht für eine selbstbestimmte Nutzung von Informationstechnik durch Staat und Gesellschaft genauso wie durch Unternehmen und Individuen. Für die Unternehmen dürften in diesem Zusammenhang konkret drei Ziele hochrelevant sein:

  1. Gewährleistung der Verfügbarkeit von Anwendungen und Diensten
  2. Vermeiden von Abhängigkeiten und Lock-In-Effekten
  3. Sicherstellen der Datenhoheit bzw. Datensouveränität

Cloud-Trend sorgt tendenziell für steigende Abhängigkeiten von großen Plattformen

Wie schwer es den Unternehmen fällt, diese Ziele auch in der Praxis umzusetzen, zeigt die im November letzten Jahres veröffentlichte »Schwerpunktstudie Digitale Souveränität 2021«. Laut der vom Zentralinstitut für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) durchgeführten Untersuchung fühlen sich mehr als 80 Prozent der Unternehmen in mindestens einem (abgefragten) Technologiefeld abhängig von nicht-europäischen Anbietern.

Diagramm ZEW Konjunkturumfrage Abhängigkeit Digitale Souveränität

Dieses Resultat kommt nicht überraschend: Schließlich haben die großen Internetplattformen ihre Dominanz im Unternehmenssoftware- und IT-Infrastruktursegment während der letzten Jahre erheblich ausgebaut. Durch den Cloud-Trend wurde diese Entwicklung noch forciert. Von den immensen Skaleneffekten, die mit dem Cloud-Geschäft einhergehen, profitieren schließlich zuvorderst die so genannten Hyperscaler. Diese nutzten natürlich die Gunst der Stunde und bauten ihren Vorsprung gegenüber den Wettbewerbern ebenso wie die Lock-In-Effekte ggü. den Kunden sukzessive weiter aus. Angesichts dieser Dynamik verwundert kaum, dass die meisten Studienteilnehmer bei der Frage nach Gründen für die Abhängigkeit auf das Fehlen von EU-Alternativen bzw. die technische Überlegenheit eines Anbieters verwiesen.

Diagramm Digitale Souveränität Gründe für Abhängigkeit
Lösungswege Digitale Souveränität

Hyperscaler sind nicht alternativlos –Ausweitung der Suche lohnt sich

Was tun? Viele Berater und Beraterinnen plädieren vor diesem Hintergrund für eine Multi-Cloud-Strategie – also den Bezug von Infrastruktur-Services über mehrere Cloud-Plattformen. Klingt einleuchtend, lässt sich in der Praxis aber zumeist nur in größeren Unternehmen mit entsprechend großen Cloud-Volumina und die für das Multi-Plattform-Management notwendigen IT-Ressourcen sinnvoll umsetzen. Wie aber können mittelständische Unternehmen den drohenden Abhängigkeiten begegnen?! Wollen diese die Digitalisierung weiter vorantreiben, so scheint es, dann kommen sie an den großen Cloud-Plattformen nicht vorbei.

Aber ist dem wirklich so? Sind Amazon, Google, Microsoft und Co. im Mittelstandssegment hierzulande tatsächlich alternativlos? Ich meine: Nein! Es stimmt zwar: In puncto Skaleneffekte wird sich kaum ein Wettbewerber mit den großen Plattformen messen können. Bei Kundenservice und Augenhöhe aber schon, denn diese für mittelständische Kunden wesentliche Aspekte werden von den meisten Hyperscalern eher stiefmütterlich behandelt. So steht kleinerer Kundschaft von Amazon, Google & Co. für die Klärung von Fragen oder bei Eskalationen meist allenfalls eine Online-Hilfe zur Verfügung. Ein Support, der telefonisch einfach erreichbar ist oder gar dedizierte Kontaktpersonen? Fehlanzeige. Mehr noch: Um sich die für die Bedienung der Plattform notwendigen Kompetenzen anzueignen, müssen teure Workshops gebucht werden. Der damit verbundene Aufwand schmälert den Nutzen – was angesichts der geringeren Cloud-Volumina überdurchschnittlich stark zu Buche schlägt.

Will sagen: Die Marktentwicklung im Cloud-Umfeld ist nicht so eindimensional, wie es auf dem ersten Blick scheint. Speziell im Mittelstandssegment lassen die großen Cloud-Plattformen eine Lücke, in die mehr und mehr Deutsche und Europäische Akteure stoßen. Um eine selbstbestimmte Digitalisierung voranzutreiben, sollten Verantwortliche deshalb ihre Sourcing-Aktivitäten im Cloud-Umfeld – über die üblichen Verdächtigen hinaus – ausweiten. Es lohnt sich.

Sourcing-Tipps: „Hosted in Germany“ reicht nicht, Versprechen kritisch hinterfragen

Wichtig dabei: Bei der Suche nach Alternativen gilt es, die Spreu vom Weizen zu trennen. „Hosted in Germany“ schön und gut: Wer als Unternehmen digitale Dienste betreiben möchte, braucht echte (skalierbare) Cloud-Infrastruktur-Services und keine rigiden Webhosting-Angebote, die nur als „Cloud“ betitelt werden. Klar ist schließlich auch: Kundenservice und Augenhöhe werden gerne versprochen – ob die Versprechen auch dann eingelöst werden, steht auf einem anderen Blatt. Umso wichtiger erscheint es, die Nachhaltigkeit der Service-Versprechen kritisch zu hinterfragen – sowohl in der Diskussion mit den Providern als auch im Austausch mit anderen Kunden.

Noch ein abschließender Punkt: Ein Hybrid Cloud-Modell – bei dem ein Teil der Workloads in einer privaten Cloud und ein andere in der Cloud eines externen Providers betrieben wird – erscheint gerade mit Blick auf die „Digitale Souveränität“, einschließlich der Datensouveränität sinnvoll. Dessen Umsetzung setzt allerdings voraus, dass Public und Private Cloud problemlos miteinander interagieren können – idealerweise über eine gemeinsame Management-Plattform. In der Diskussion mit potenziellen Providern sollte dieser Punkt adressiert werden.

Resümee Background

Resümee

Wer als Unternehmen die Digitalisierung ausbauen oder als mittelständischer SaaS-Anbieter digitale Dienste etablieren will, sollte der digitalen Souveränität Beachtung schenken. Amazon, Google, Microsoft & Co. verfügen zwar über eine immense Marktmacht, sind aber nicht alternativlos – insbesondere nicht im Mittelstandssegment, wo die Qualität des Kundenservice und die Möglichkeit zur Interaktion auf Augenhöhe ein immenses Gewicht haben. Tatsächlich gibt es immer mehr lokale Cloud-Anbieter, die sich über diese Themen im Cloud-Markt versuchen zu differenzieren. Mittelständische Unternehmen ebenso wie hierzulande ansässige SaaS-Anbieter sollten ihre Sourcing-Aktivitäten entsprechend ausweiten. Bei der Prüfung alternativer Anbieter sollten die Qualität des Cloud-Modells, die Nachhaltigkeit der Serviceversprechen sowie die Unterstützung hybrider Cloud-Modelle kritisch hinterfragt werden.

Nachlese: Weitere ausgewählte gridscale-Artikel und Studien zum Thema

  1. gridscale E-Paper: „Gefangen in der Public Cloud!?“, 2021
  2. gridscale Studie: „Zehn Stellschrauben der Cloudifizierung im gehobenen Mittelstand“, 2021
  3. gridscale Spotlight Paper: „Erfolgreiche SaaS-Angebote brauchen ein starkes Fundament“, 2021
Andreas Stiehler Porträt

Dr. Andreas Stiehler

Dr. Andreas Stiehler begleitet als IT-Analyst, Autor und Berater
seit mehr 20 Jahren Forschungs- und Beratungsprojekte zum
digitalen Wandel. Seine Kernthemen sind hierbei Digital Work &
Digital Workplace, Kundenservice im digitalen Wandel sowie das
Management von Wissensarbeit(ern). Der promovierte Volkswirt
mit Schwerpunkt auf Verhaltensökonomie setzt sich dafür ein,
den digitalen Wandel ganzheitlich zu betrachten und dabei die
Menschen stärker in den Fokus zu rücken.

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