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REWE als deutsches AWS?

Wie sich die Anbieterlandschaft um Public Edge Services neu formiert

Wie verändert sich die Cloud-Anbieterlandschaft, wenn Edge Computing immer mehr an Relevanz gewinnt? Welche Dienstleistungen sind gefragt und welche Anbietergruppen könnten von diesem Trend profitieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich unser Autor, der IT-Analyst Dr. Andreas Stiehler, im aktuellen Blogpost. Sein Fazit: Die Cloud-Edge-Anbieterlandschaft ist in Bewegung. Mit dem steigenden Interesse an Public Edge Services entsteht ein neuer Wachstumsmarkt mit Chancen zum Markteintritt für neue Anbietergruppen. Dessen Erschließung hat bereits begonnen, Zeit sich zu positionieren.

Edge Computing ist, wie ich im letzten Blogbeitrag mit Blick auf das Edge-Jahr 2024 konstatierte, zwar noch ein zartes Pflänzchen und ein Edge-Boom auch in den kommenden Monaten noch nicht zu erwarten. Gleichwohl gewinnt das Thema stetig an Bedeutung. Dafür spricht die lange Liste an Faktoren, die für eine deutliche Belebung der Nachfrage nach Computing-Ressourcen am Netzwerkrand sprechen – von der wachsenden Reife bei den KI-Technologien (siehe auch »Edge AI = die nächste Stufe der Digitalisierung« ) über die explodierende Datenflut aufgrund allgegenwärtiger Videokameras und Sensoren bis hin zum steigenden Bedarf an latenzsensiblen Anwendungen im Zuge von Industrie 4.0. 

Bei Echtzeitanwendungen zur Steuerung von Maschinen und Anlagen zum Beispiel liegt die Toleranz gegenüber Latenzen – also, Verzögerungen bei der Datenübermittlung – im einstelligen Millisekundenbereich.  Das bedeutet: Wer als Unternehmen den Wandel zur Industrie 4.0 ernsthaft in Angriff nehmen will, sollte gewährleisten, dass die Verarbeitungen der Daten nicht weiter als 50 bis 90 km entfernt erfolgt. Ähnliche Anforderungen gelten für intelligente Regale im Handel, für moderne Medizinanwendungen, z. B. bei der Krebsfrüherkennung, smarte Städte oder für autonom arbeitende Fahrzeuge bis hin zu den neuesten Videospielen. 

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In Unternehmen, bei denen heute schon latenzsensible Anwendungen zum Einsatz kommen, werden die Daten bislang oft »on premise«, also über lokale Server/Rechenzentren verarbeitet, die im Eigenbetrieb auf eigenen Liegenschaften betrieben werden. Ein solcher »Private-Edge«-Ansatz ist allerdings wenig effizient und zielführend – und daher eher eine Behelfslösung als ein zukunftsfähiges Modell. Schließlich können Unternehmen, anders als spezialisierte Rechenzentrumsbetreiber, nicht skalieren. Gleichzeitig steigen, auch forciert durch den Edge-Trend, die Anforderungen an den Rechenzentrumsbetrieb. Hinzu kommt schließlich noch, dass es sich die meisten Unternehmen nicht leisten können (und wollen), ihre wenigen IT-Fachkräfte für den Betrieb der IT-Infrastruktur »abzustellen«.

Der Bedarf an Infrastruktur-Diensten, die von spezialisierten RZ-Betreibern lokal in der Nähe von Industrieparks und Metropolen bereitgestellt werden, wird aller Voraussicht nach in den nächsten Monaten und Jahren spürbar steigen. Dies dürfte auch für Bewegung in der Cloud-/Edge-Anbieterlandschaft sorgen. Schließlich reift ein neuer Markt für Public Edge Services heran, den es zu erschließen gilt.  

Wichtig an dieser Stelle: Public Edge und Public Cloud Services lassen sich nicht losgelöst voneinander betrachten. Beide Angebotsformen haben ihre Berechtigung und ergänzen einander. So erfordert beispielsweise die Realisierung innovativer KI-Anwendungsszenarien eine Kombination von zentral und dezentral betriebenen Computing-Ressourcen innerhalb eines Cloud-Edge-Kontinuums – wie u. a. im Blogbeitrag zu Edge-AI erläutert. Wer als Anbieter am Wachstumsmarkt partizipieren möchte, sollte demzufolge sicherstellen, dass die Unternehmen Edge- und Cloud-Computing-Ressourcen aus einem Guss heraus managen können.  

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Europäische Cloud-Anbieter wie OVHcloud bauen Edge-Netzwerk aus

Aber von welchen Akteuren ist hier genau die Rede? An dieser Stelle verweise ich gerne auf eine hochinteressante und lesenswerte Studie zu »Geschäftspotenzialen und Geschäftsmodellen für Edge-Investitionen«. Sie wurde von GIMI Research in Zusammenarbeit mit dem eco Verband der Internetwirtschaft e.V. und der TH Köln erstellt und im Jahr 2022 veröffentlicht. Die Analysen, die u. a. auf 20 ausführlichen Experteninterviews basieren, führen das Geschäftspotenzial von Edge Computing nicht nur allein aus Anwender-, sondern auch und insbesondere aus Anbieterperspektive vor Augen. Dabei zeigt sich, dass der Kreis der potenziellen Anbieter von Public Edge Services weit über die üblichen Verdächtigen (Hyperscaler etc.) hinausreicht.

Die wichtigste Anbietergruppe aus Sicht der für die eco-Studie befragten Experten (siehe Grafik) sind ITK-Unternehmen, die meist schon als Cloud-Anbieter positioniert sind, in dieser Rolle bereits Rechenzentren betreiben und dieses Netzwerk nun weiter ausbauen. So arbeitet bspw. OVHcloud als führender europäischer Cloud-Anbieter gemeinsam mit gridscale intensiv am Aufbau eines europaweiten Netzwerkes mit Local Zones, also von lokalen Rechenzentren zur Bereitstellung von Public Edge Services – siehe hierzu unseren letzten Blogbeitrag.

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Konkurriert REWE bald im Public-Edge-Markt mit Amazon?

Eine weitere potenzielle Anbietergruppe sind große, überregional aufgestellte Unternehmen, die über ein lokales RZ-Netzwerk zur Unterstützung ihres Geschäftsmodells verfügen und dieses zukünftig auch für das Angebot von Public Edge Services nutzen könnten. So könnte beispielsweise der Einzelhandelskonzern REWE zukünftig eine wichtige Rolle in dem sich manifestierenden Public-Edge-Markt einnehmen. Die Aussagen von Dr. André Marburger, CTO der REWE Systems GmbH, im Interview mit den Autoren der eco-Studie zeigen, dass dieser Gedanke nicht aus der Luft gegriffen ist.

»Generell wäre es denkbar, dass REWE sich als erweiterter IT-Dienstleister betätigt, der bestimmte, nicht-REWE-spezifische Workloads auf seinen Systemen verarbeitet. Allerdings ist das aktuell noch nicht attraktiv, da die Use Cases fehlen. Die Überlegungen gehen daher eher in Richtung einer Private Cloud mit Self Service. Der Lebensmitteleinzelhandel hostet bereits Services Dritter, z. B. für Paketdienstleistungen und ähnliche. Insofern wäre die Bereitstellung von Compute Power für einen Shared-Edge-Ansatz auch ein mögliches Szenario, sofern hier eine substanzielle Nachfrage besteht.«

Bemerkenswert auch:  REWE würde mit einer solchen Strategie in die Fußstapfen von Amazon treten. Während sich der Online-Handels-Pionier mit seiner zentralen IT zu einem führenden Akteur im Public-Cloud-Markt entwickelte, könnte die Einzelhandelskette mit ihrer verteilten IT eine wichtige Rolle im Public-Edge-Geschäft einnehmen.

Apropos Amazon: Natürlich sind auch Hyperscaler wie Amazon Web Services mit eigenen Angeboten in diesem Markt positioniert. Sie tun dies allerdings nicht, weil das Edge- Computing-Segment so attraktiv erscheint, sondern vielmehr, weil ihre Kunden es verlangen. Anders ausgedrückt: Das kleinteilige Edge-Computing-Geschäft liegt nicht in der DNA der Hyperscaler. Sie werden das Thema nur in dem Maß begleiten, wie es zur Bindung großer Kunden notwendig erscheint.

Dass sie sich mit innovativen und kundenfreundlichen Edge-Lösungen an die Spitze der Entwicklung stellen, ist dagegen eher nicht zu erwarten. 

Bei Echtzeitanwendungen zur Steuerung von Maschinen und Anlagen zum Beispiel liegt die Toleranz gegenüber Latenzen – also, Verzögerungen bei der Datenübermittlung – im einstelligen Millisekundenbereich.  Das bedeutet: Wer als Unternehmen den Wandel zur Industrie 4.0 ernsthaft in Angriff nehmen will, sollte gewährleisten, dass die Verarbeitungen der Daten nicht weiter als 50 bis 90 km entfernt erfolgt. Ähnliche Anforderungen gelten für intelligente Regale im Handel, für moderne Medizinanwendungen, z. B. bei der Krebsfrüherkennung, smarte Städte oder für autonom arbeitende Fahrzeuge bis hin zu den neuesten Videospielen. 

Gute Wachstumschancen für lokale RZ-Betreiber, wenn diese im Verbund agieren

Ganz anders stellt sich die Situation dagegen für lokale Rechenzentrumsbetreiber dar, die im Zuge von Edge-Trends mit einer steigenden Nachfrage rechnen können. Um im Edge-Markt nachhaltig erfolgreich zu sein, sollten sie jedoch gewährleisten können, dass ihre Kunden bei Bedarf Public Edge Services auch an anderen Standorten und aus einer zentralen Cloud beziehen und diese aus einem Guss heraus managen werden können. Um solch ein umfassendes Cloud-/Edge-Angebot unterbreiten zu können, sollten sie mit anderen RZ-Betreibern bzw. Cloud-Anbietern in einem funktionierenden Ökosystem zusammenarbeiten. Ein Thema, das gridscale als Anbieter von Softwarelösungen zum Management hybrider Cloud-Edge-Infrastrukturen bereits seit einigen Jahren begleitet und intensiv vorantreibt.

Zwei Literaturhinweise dazu: Wie sich der Edge-Markt aus Sicht eines lokalen RZ-Betreibers darstellt, zeigt u. a. die Expertensicht von Markus Weber, Geschäftsführer der Leitwerk AG in der gridscale Trendstudie »Edge in der Praxis«. Welche Vorteile sich für ein lokales Rechenzentrum durch die Anbindung an das gridscale Edge-Cloud-Ökosystem ergeben, zeigt die Partnerstory der Schweizer hosttech, die hier zum kostenlosen Download zur Verfügung steht.

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Kommunale Verwaltung: Schlüsselposition für Public-Edge-Angebote

Eine wichtige Rolle im Public-Edge-Markt kommt schließlich auch den Kommunen zu. Sie sind einerseits selbst potenzielle Kunden, zum Beispiel in Hinblick auf die Realisierung so genannter Smart-City-Anwendungen (digitale Parkraumbewirtschaftung etc). Als erste Ansprechpartner für lokal ansässige Unternehmen haben sie zudem ein veritables Interesse an einer lokalen Verfügbarkeit von Public Edge Services.

Andererseits könnten die Kommunen bzw. kommunale Betriebe auch selbst als Anbieter am Public-Edge-Markt partizipieren bzw. die Rahmenbedingungen für die Bereitstellung von Public Edge Services schaffen.
So widmet die eco-Studie ein ganzes Kapitel dem Potenzial von Edge Computing für das rheinische Revier. Wobei die Rolle der Kommunen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird  – von der Stadtmarketing- und Wirtschaftsförderungsgesellschaft Dormagen über das St@rt Hürt Gründer- und Technologiezentrum bis zum Datenmarktplatz NRW. Aus meiner Sicht ein »Must Read« mit vielen Denkanstößen für die kommunale Verwaltung. 

Resümee: Kräftemessen im Public-Edge-Markt hat begonnen, Strategien gefordert!

Kurz zusammengefasst: Der Bedarf nach Public Edge Services dürfte in den nächsten Monaten und Jahren signifikant zunehmen. Die Erschließung dieses attraktiven neuen Wachstumsmarkts hat bereits begonnen, wobei sich der Kreis der potenziellen Anbieter nicht auf die üblichen Verdächtigen beschränkt. Auch für Großunternehmen mit verteilter IT wie der Einzelhandelskette REWE, lokale RZ-Betreiber bis hin zu Kommunen bietet sich die Chance, bei diesem Geschäft mitzumischen.

Der Aufbau von Computing-Ressourcen am Netzwerkrand und deren Einbindung in ein funktionierendes Cloud-Edge-Netzwerk gelingt allerdings nicht von heute auf morgen. Akteure, die an dem wachsenden Public-Edge-Markt partizipieren möchten, sollten deshalb besser heute als morgen eine Public-Edge-Strategie entwickeln und die Voraussetzungen für deren Umsetzung schaffen. Dies gilt im Übrigen auch für die (potenziellen) Kunden, also Unternehmen oder auch SaaS-Anbieter (zum Beispiel im Gaming-Umfeld) mit Bedarf an Public-Edge-Angeboten. 

Denn klar ist: Die Realisierung von innovativen Anwendungen oder Angeboten, die eine Edge-Infrastruktur vor Ort voraussetzen, ist schließlich keine reine Zukunftsmusik mehr. Die nächste Stufe der Digitalisierung ist bereits im Gange.

Dr. Andreas Stiehler

Dr. Andreas Stiehler begleitet als IT-Analyst, Autor und Berater seit mehr 20 Jahren Forschungs- und Beratungsprojekte zum digitalen Wandel. Seine Kernthemen sind hierbei Digital Work &
Digital Workplace, Kundenservice im digitalen Wandel sowie das Management von Wissensarbeit(enden). Der promovierte Volkswirt mit Schwerpunkt auf Verhaltensökonomie setzt sich dafür ein, den digitalen Wandel ganzheitlich zu betrachten und dabei die Menschen stärker in den Fokus zu rücken.

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