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Cloud Migration, IT-Analyst Spotlight

Cloud-Migration in Deutschland 2023

Warum die Strategie-Diskussion in die Irre führt

Die Cloud-Migration verharrt hierzulande immer noch in den Startlöchern. Dies belegt eine aktuelle IDG-Studie zum Stand der »Cloud-Migration 2023«.
IT-Analyst Dr. Andreas Stiehler hat die Studie für gridscale unter die Lupe genommen – auch im Hinblick auf die aktuelle gridscale-Analyse zur Entwicklung des Cloud-Anbieter-Marktes. Sein Fazit: Die von den Studienautoren ausgelöste Strategiediskussion fußt auf einer Fehlinterpretation und führt an den eigentlichen Herausforderungen vorbei. Wie er zu dieser Einschätzung gelangt und welche Schlüsse er aus den Studienergebnissen zieht, diskutiert er in diesem Beitrag.

IDG-Studie bietet eine umfassende Bestandsaufnahme zur Cloud-Migration 2023

Die Cloud-Angebots-Landschaft ist in Bewegung: Lokale Cloud-Partner-Ökosysteme etablieren sich zunehmend als Alternative zu den Hyperscaler-Angeboten. Gleichzeitig reifte eine neue Generation an Multi-Cloud-Plattformen heran – mit Cloud Service Brokerage als integralen Bestandteil. Dies zeigen aktuelle gridscale-Studien, Analysen und Blogbeiträge. Wie aber sieht es auf der Nachfrageseite aus? Hat sich der mit der Pandemie ausgelöste Schub zur Cloud-Migration hierzulande fortgesetzt? Mit welchen Strategien begegnen die Unternehmen der dynamischen Entwicklung im Geschäfts- und Cloud-Umfeld?

Antworten auf diese Fragen verspricht eine aktuelle IDG-Studie zur »Cloud-Migration 2023«, (Herausgeber: CSO, CIO und Computerwoche), für die mehr als 300 Verantwortliche deutscher Unternehmen befragt wurden. Der Studienreport ist vollgepackt mit Zahlen und Grafiken zum Migrationsgeschehen in Deutschland. Kaum ein Thema, das mit der Cloud-Migration in Zusammenhang steht, wurde ausgespart. Selbst Cloud-Rollbacks, also die Rück-Migration aus der Cloud, kamen zur Sprache. Eine umfassende Vermessung also.

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Steckbrief zu IDG-Studie
»Cloud-Migration 2023«

Herausgeber: CIO, CSO und COMPUTERWOCHE
Studienpartner: Lufthansa Industry Solutions, SPIRIT/21, Unit4 Business Software (alle Gold), Ergon Informatik/Airlock, Comarch Software und Beratung, Vodafone (alle Silber), NTT Germany, NTT DATA Business Solutions
Grundgesamtheit: Oberste (IT-)Verantwortliche in Unternehmen der DACH-Region: Beteiligte an strategischen (IT-)Entscheidungsprozessen im C-Level-Bereich und in den Fachbereichen (LoBs); Entscheidungsbefugte sowie Expert:innen aus dem IT-Bereich
Teilnehmergenerierung: Persönliche E-Mail-Einladung via exklusiver Unternehmensdatenbank von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE sowie, zur Erfüllung von Quotenvorgaben, über externe Online-Access-Panels
Gesamtstichprobe: 321 abgeschlossene, qualifizierte Interviews
Untersuchungszeitraum: 28.02.–07.03.2023
Methode: Online-Umfrage (CAWI)
Fragebogenentwicklung und Durchführung: Custom Research Team von CIO, CSO und COMPUTERWOCHE in Abstimmung mit den Studienpartnern
Zum Download: Im Aboshop von Computacenter oder kostenlos bei Studienpartnern wie Lufthansa Industry Solutions
(Quelle: Computerwoche und eigene Recherchen)

Kernaussage ist irreführend: Cloud-Migration kommt nicht von der Stelle – trotz Strategie

So weit, so gut. Beim Lesen des Reports stellt sich jedoch zunächst einmal Ernüchterung ein. Dies liegt zum Teil an einigen ernüchternden Resultaten zum Stand der Cloud-Migration, aber auch an Unstimmigkeiten bei deren Analyse. So attestieren die Autoren der Studie gleich zu Beginn: »Nur 40 % der Befragten realisieren die Cloud-Migration derzeit mit einer Strategie.« Diese, als »das zentrale Ergebnis« der Studie herausgestellte Aussage lässt zunächst aufhorchen – zumal die Vorgängerstudie »Cloud-Migration 2021« genau zu einem gegenteiligen Schluss kam. Damals hieß es noch im begleitenden Computacenter-Beitrag: »Die Mehrzahl der Unternehmen geht die Cloud-Migration strategisch an.«

Haben die Unternehmen also während der letzten zwei Jahre ihren Glauben an die Notwendigkeit einer Cloud-Strategie ad acta gelegt? Nein! Vielmehr basiert die Kernaussage zur diesjährigen IDG-Studie auf einer Fehlinterpretation. Tatsächlich belegen die Studienergebnisse, dass bislang nur 39 % der befragten Unternehmen mindestens ein Cloud-Migrations-Projekt durchführten.

Sprich: Mehr als 60 % der befragten Unternehmen haben noch gar nicht mit der Cloud-Migration gestartet! Ein für sich genommen ernüchternder Befund, der es verdient, hervorgehoben zu werden. Dass die Migrationen jedoch ohne Strategie durchgeführt wurden, lässt sich aus den Befragungsresultaten nicht ableiten.

Ganz im Gegenteil: Tatsächlich gaben 40 % der Befragten an, bereits eine Cloud-Strategie zu realisieren – also ähnlich viele wie diejenigen, die laut eigenen Aussagen schon erste Cloud-Migrationsprojekte durchführten. Dies lässt vermuten, dass der überwiegende Teil der realisierten Cloud-Migrationen sehr wohl strategisch geplant war. Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, dass sich ein Großteil der Befragten, die bereits eine Cloud-Migration durchführten, mit deren Ergebnissen zufrieden (32 %) oder sogar sehr zufrieden zeigt (46 %). Bei planlos durchgeführten Migrationsprojekten wäre die Zufriedenheit sicher deutlich niedriger ausgefallen.

Kurzum: Die Cloud-Migration steht auch 2023 hierzulande noch in den Startlöchern. Diejenigen Unternehmen, das Thema bereits in Angriff nahmen, gingen dabei aber – anders als es die Kommunikation zur Studie suggeriert – durchaus planvoll vor.

Gut so! Denn eine Strategie, die sich aus den Unternehmenszielen ableitet, die örtlichen Gegebenheiten antizipiert und das große Spektrum an Lösungsansätzen berücksichtigt, ist für die Cloud-Migration erfolgskritisch. Wie wichtig ein tiefes Verständnis über die eigenen Applikationen und deren Auswirkungen für das Geschäftsmodell ist, lässt sich u. a. in der Expertenstudie »Zehn Stellschrauben der Cloudifzierung« von gridscale und Intel®nachlesen.

Pläne der Unternehmen deuten auf Cloud-Migrations-Boom in den nächsten Monaten

Zurück zu den weiteren Resultaten der IDG-Studie, die in naher Zukunft einen dynamischen Aufholprozess erwarten lassen. So plant fast jedes zweite befragte Unternehmen (48 %) ein erstes Cloud-Migrationsprojekt innerhalb der nächsten drei Jahre, darunter 27 % sogar schon im nächsten Jahr. Zudem soll der Umfang der in der Cloud betriebenen Workloads deutlich zunehmen. Wenn sich diese ambitionierten Pläne tatsächlich realisieren, dann stünde für 2023/2024 ein echter Cloud-Migrations-Boom in Haus.
Für eine tatsächliche Realisierung der berichteten Cloud-Pläne spricht, dass laut Studie etwa jedes zweite befragte Unternehmen bereits eine konkrete Cloud-Strategie erarbeitet hat (ca. 34 %) bzw. seit Kurzem erarbeitet (ca. 15 %) – auch wenn diese bislang noch nicht umgesetzt wurde. Dafür spricht auch, dass mehr als zwei Drittel der Befragten von steigenden (44 %) oder sogar stark steigenden IT-Budgets (25 %) für die Cloud-Migration berichten.

Unternehmen setzen auf (hybride) Multi Cloud – mit größtmöglicher Flexibilität

Und wie sehen die Cloud-Migrationspläne konkret aus? Der Großteil der Unternehmen hierzulande, so zeigt die Studie einmal mehr, setzt auf hybride Ansätze im Cloud-Betrieb, wobei die Tendenz klar in Richtung (hybride) Multi Cloud zeigt. Weiterhin bestätigt die Studie, dass die meisten Unternehmen hierzulande eine Private Cloud (41 %) oder ein Hybrid Cloud (31 %) gegenüber reinen Public Cloud-Ansatz (24 %) bevorzugen.

Wobei leider unklar bleibt, wie die Anteile bei bereits realisierten Migrationen ausfallen. Die im Report ausgewiesenen Prozentanteile beziehen sich sowohl auf Unternehmen, die eine Cloud-Migation bereits durchführten als auch auf diejenigen, die eine solche planen.

Interessant ist schließlich, dass laut Aussage der Befragten etwa 28 % der Unternehmen bereits ein »Rollback« von Anwendungen aus der Cloud zurück in die eigenen IT-Rechenzentren vornahmen. Weitere 21 % würden dies in naher Zukunft planen. Ein beachtliches Ergebnis – gemessen auch daran, dass bislang weniger als 40 % der Unternehmen überhaupt erst ein Cloud-Migrations-Projekt durchführten.

Es verdeutlicht, dass die Unternehmen, auch in Bezug auf die Rückführung von Cloud-Workloads, Flexibilität benötigen bzw. einfordern. Wobei ein Cloud Rollback nicht zwingend auf ein Scheitern der Cloud-Migration hindeuten muss (wie im Studienreport suggeriert).

Die Rückholung von Workloads aus dem Cloud-Betrieb lässt sich unter Umständen auch ökonomisch begründen. Zum Beispiel dann, wenn die ursprünglichen Kostenvorteile des Cloud-Betriebs bei zunehmender Reife einer Branche bzw. eines Geschäftsmodells obsolet werden. Siehe hierzu auch die bekannte Analyse von andreessen.horowitz.

Festzuhalten bleibt: Der Großteil der Unternehmen hierzulande plant, Workloads künftig verstärkt in die Cloud zu migrieren, will sich dabei aber ein Maximum an Flexibilität erhalten. Und dieser Wunsch ist auch berechtigt. Schließlich gilt es, aus strategischen, finanziellen und Sicherheitsgründen einseitige Abhängigkeiten von Providern zu vermeiden. Auch ist Cloud Computing nicht der Weisheit letzter Schluss.
Nicht umsonst gewinnt das Thema Edge Computing immer mehr an Bedeutung. So beleuchtet die aktuelle gridscale-Analysereihe zum Thema Edge, dass viele innovative Use Cases (Stichwort: IoT) heute ein Zusammenspiel verschiedener Betriebsmodelle entlang des Cloud-Edge-Kontinuums erfordern.

Anforderungen an die Migration steigen – neue Lösungsansätze lässt Studie außen vor

Klar ist damit allerdings auch: Mit den Anforderungen an die Cloud-Migration steigen die Anforderungen an die IT-Infrastruktur und die Komplexität. Genau diese beiden Aspekte werden von den Befragten auch als Top-Herausforderungen der Cloud-Migration genannt. Womit sich auch erklärt, warum die Cloud-Migration in vielen Unternehmen (trotz bereits ausformulierten Cloud-Strategien) noch nicht startete.

Umso wichtiger erscheint, dass im Bereich der Multi-Cloud-Integrationsplattformen eine neue Lösungsgeneration heranreift und sich in diesem Zuge lokale Cloud-Partner-Ökosysteme als Alternative zu den Hotel-California-Angeboten der Hyperskaler etablieren. Schade, dass auf diese Aspekte in der Studie kaum Bezug genommen wird. Stattdessen beziehen sich vertiefende Fragen zur Public-Cloud-Nutzung ausschließlich auf die Hyperskaler-Angebote.

Resümee

Die Cloud-Verantwortlichen sollten sich mit dem immensen Fundus an Daten und Fakten zur Cloud-Migration in Deutschland 2023, den die aktuelle IDG-Studie bietet, auseinandersetzen. Sie sollten dies allerdings kritisch tun. Denn bei der Ergebnisanalyse bleibt die Studie in Summe hinter ihren Möglichkeiten zurück. So lenkt die irreführende Strategiediskussion im Studienreport von den eigentlichen Herausforderungen bei der Cloud-Migration ab. Zudem wird in der Auswertung kaum zwischen den Aussagen von Cloud-Nutzern und -Planern unterschieden und auch kein Bezug zu den Ergebnissen der Studie von 2021 hergestellt. Dies macht es schwer, zwischen Wunschdenken und Realität zu trennen.

Wünschenswert wäre schließlich auch noch tiefergreifende Fragen zur Planung und Umsetzung der Cloud-Migration. Wobei einräumen ist, dass sich mit einer empirischen Befragung allein ein so vielschichtiges Thema unmöglich in allen Aspekten und in der gewünschten Tiefe beleuchten lässt. Für die Cloud-Verantwortlichen in den Unternehmen dürfte es sich deshalb lohnen, begleitend zur Lektüre der IDG-Studie auch einen Blick auf die „Zehn Stellschrauben der Cloudifizierung“ zu werfen – eine Studie von gridscale und Intel, die auf Tiefeninterviews mit renommierten Cloud-Experten basiert und sich im Detail mit den praktischen Aspekten der Cloud-Migration auseinandersetzt.