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Cloud-Migration 2.0

Wie KI und Edge Computing die Prozessautomatisierung forcieren

Laut Bitkom-Cloud-Report 2024 wollen immer mehr Unternehmen Cloud-Ressourcen nutzen, um interne Prozesse zu digitalisieren. Gut so! Allerdings erfordert die KI-basierte Prozessdigitalisierung auch eine Neuausrichtung des IT-Infrastrukturbetriebs mit Edge Computing als integralem Bestandteil, meint unser Analyst und Autor, Dr. Andreas Stiehler. Wie er zu diesem Schluss kommt und welche Aspekte bei der Neuausrichtung des IT-Infrastrukturbetriebs zu beachten sind, erläutert er in diesem Blogbeitrag.

Bitkom Cloud Report 2024: Prozessdigitalisierung rückt in den Fokus, aber Cloud-Geschäft stagniert

»Unternehmen treiben mit der Cloud ihre Digitalisierung voran«, titelte der Digital-Branchenverband Bitkom e.V. in der Pressemeldung zum »Cloud Report 2024«. Zur Untermauerung verweisen die Autoren auf ein zentrales Ergebnis der Studie: 61 Prozent der hiesigen Unternehmen, die Cloud nutzen oder diskutieren, bezeichnen demnach die »Digitalisierung interner Prozesse« als ein Kernziel ihrer Cloud-Aktivitäten, was einen Anstieg um 16 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet(!).      

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Bemerkenswert zudem: Der Anteil der Unternehmen, die auf die Cloud setzen, lag laut Bitkom-Report im Jahr 2024 bei (nur) 81 Prozent. Im Jahr 2023, als der Cloud-Markt mit ähnlicher Methodik untersucht wurde, betrug dieser Anteil noch 89 Prozent. Bei Unternehmen, die eine Cloud-Nutzung planen oder diskutieren, zeigt sich dagegen eine umgekehrte Tendenz. Hier liegt der Anteil im Jahr 2024 bei 14 Prozent, im Jahr 2023 wurde an dieser Stelle nur ein Anteil von 8 Prozent ausgewiesen. 

Natürlich sollten die Ergebnisse statistischer Untersuchungen immer mit Vorsicht interpretiert werden, so liegt die von den Studienautoren selbst ausgewiesene Fehlerrate bei +/- 4 Prozent. Unterm Strich aber bleibt festzuhalten: Das Cloud-Geschäft scheint im Jahr 2024 eher zu stagnieren, als zu wachsen. Dies zeigt sich auch daran, dass der durchschnittliche Anteil der IT-Anwendungen, die in der Cloud betrieben werden, im Jahr 2024 unverändert bei 38 Prozent liegt. 

Halten wir also fest: Während die Digitalisierung interner Prozesse beim IT-Infrastrukturbetrieb in den Fokus rückt, stagniert das Cloud-Geschäft, scheint sogar leicht rückläufig – und dies übrigens sowohl im Public- als auch im Private-Cloud-Umfeld.

Ist dies ein Zufall? Eher nicht, meine These dazu lautet wie folgt: 

Die Digitalisierung interner Prozesse ist angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen zwingend notwendig, erfordert aber eine Neuausrichtung des IT-Infrastrukturbetriebs. Eine allein auf die Zentralisierung der Datenverarbeitung ausgelegte Cloud-Migration führt in die Sackgasse. Um eine (KI-gestützte) Prozessdigitalisierung in der Fläche optimal zu unterstützen, ist vielmehr eine verteilte Datenverarbeitung an unterschiedlichen Orten – von zentralen Cloud-Rechenzentren bis hin zu Computing Ressourcen am Netzwerkrand (der Edge) – notwendig. 

Damit verbunden stellen sich auch höhere Anforderungen an das Management und die Absicherung des IT-Infrastrukturbetriebs sowie an die Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern. Bei der Adressierung dieser Herausforderungen stehen die meisten Unternehmen jedoch noch ganz am Anfang – auch und insbesondere, weil es an geeigneten externen Angeboten mangelt.

Was würde abteilungsübergreifend Ihre Performance verbessern?

Mehrfachanworten waren möglich

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In Prozessoptimierungen sehen Unternehmen den größten Hebel für Performance-Verbesserungen.

Effizienzsteigerung durch KI-gestützte Prozessdigitalisierung

Klar scheint zunächst, dass die Digitalisierung bzw. Automatisierung interner Prozesse bei der Mehrheit der Unternehmen derzeit ganz oben auf der Management-Agenda steht. Eine Befragung der Unternehmensberatung Staufen AG von 209 Industrieunternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Untersuchung der »Performance-Treiber 2024« untermauert dies. Die Untersuchung zeigt, dass die befragten Unternehmen unter immensem Druck stehen, wobei als Belastungsfaktoren hauptsächlich auf den Fachkräftemangel (62 %) und die unsichere wirtschaftliche Lage (59 %) verwiesen wird. Um vor diesem Hintergrund die Performance zu verbessern, halten mehr als drei Viertel der Befragten (77 %) eine Steigerung der Prozesseffizienz für erforderlich.

Welche Maßnahmen zur Performance-Verbesserung von Prozessen sehen Sie?

Nur Unternehmen, die in der Vorfrage angegeben haben, durch mehr Effizienz in Prozessen die Performance verbessern zu können

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Die Digitalisierung von Prozessen ist für die Unternehmen von zentraler Bedeutung.

Als Mittel der Wahl zur Hebung der Prozesseffizienz steht wiederum die Prozessdigitalisierung an vorderster Stelle. Knapp drei Viertel der Befragten (72 %), die eine Effizienzsteigerung für erforderlich halten, setzen darauf. Dabei ist die Prozessdigitalisierung kein gänzlich neues Thema. Die meisten Unternehmen unterstützen Prozesse in der Ressourcenplanung, im Kundenmanagement oder im HR-Umfeld bereits seit Jahren mit digitalen Lösungen wie beispielsweise ERP- oder CRM-Lösungen. Neu ist jedoch, dass sich die Automatisierungsmöglichkeiten im Zuge der KI-Entwicklung gerade rasant erweitern. Eine KI-gestützte Prozessautomatisierungslösung erfordert schließlich nicht mehr zwingend ein kontrolliertes Umfeld (mit klar definierten Input- und Output-Faktoren), sondern funktioniert auch in lebendigen Umgebungen, in denen eine Vielzahl an Faktoren interagieren – zum Beispiel im Straßenverkehr, auf dem Unternehmensgelände, im Lager, auf dem Feld oder im Supermarkt. 

Die rasante Entwicklung im KI-Umfeld im Zusammenspiel mit der allgegenwärtigen Sensorik ermöglicht eine Ausweitung der Prozessautomatisierung in der Fläche und eröffnet damit eine neue Phase der Digitalisierung.

KI-gestützte Prozessautomatisierung erfordert passenden Edge-Cloud-Mix

Ein Selbstläufer ist die KI-gestützte Prozessdigitalisierung jedoch nicht. Insbesondere erfordert sie, eine Neuausrichtung des IT-Infrastrukturbetriebs – wobei die Datenverarbeitung am Netzwerkrand, das sogenannte Edge Computing, deutlich an Bedeutung gewinnt. Cloud Computing bietet immense Vorteile im Hinblick auf Effizienz und Skalierbarkeit, geht aber mit Verzögerungen (Latenzen) und signifikanten Kosten für den Datentransfer einher. Dies wiederum sind Faktoren, die bei der KI-gestützten Prozessautomatisierung (anders als im klassischen Anwendungsbetrieb) enorm ins Gewicht fallen. Schließlich müssen hierbei Massendaten in Echtzeit verarbeitet werden.  

Dies bedeutet natürlich nicht, dass alle Daten in unmittelbarer Nähe der Anwendungen – also am äußersten Netzwerkrand (der Edge) – verarbeitet werden müssen. Denn erstens gibt es zwischen Public-Cloud-Rechenzentren und Edge ein ganzes Kontinuum an Möglichkeiten der Datenverarbeitung, einschließlich lokaler oder regionaler Rechenzentren. Wir sprechen in diesem Zusammenhang auch von einem Edge-Cloud-Kontinuum). Zweitens fußen viele moderne KI-gestützte Automatisierungslösungen auf einem Architektur-Mix, bei dem ein Teil der Daten vor Ort und ein anderer in einem zentralen Cloud-Rechenzentrum verarbeitet wird. Denkbar ist beispielsweise, dass KI-Anwendungen direkt in der Cloud betrieben werden – mit ausgewählten Daten, die an der Edge vorsondiert und vorverarbeitet wurden. 

Bei der Planung des IT-Infrastrukturbetriebs geht es nicht um Edge versus Cloud Computing, sondern darum, für den jeweiligen Anwendungsfall einen optimalen Architekturmix zu finden.

Edge-Cloud-Infrastrukturbetrieb muss ganzheitlich gemanagt und abgesichert werden

Zur Neuausrichtung des IT-Infrastrukturbetriebs gehört auch eine einheitliche Administration des IT-Infrastrukturbetriebs. Die Basis hierfür ist eine Hybrid-Cloud-Management-Lösung, die den Betrieb der gesamten Cloud- und Edge-Infrastruktur aus einer Hand steuert und gewährleistet, dass die Daten an den hierfür vorgesehenen Orten im Sinne eines einheitlichen Datenmanagements verarbeitet werden.

Notwendig ist zudem die Entwicklung und Umsetzung eines Sicherheitskonzeptes, das sich über das gesamte Edge-Cloud-Kontinuum erstreckt. Als Ausgangspunkt hierfür kann bzw. sollte der vom Bundesamt für Sicherheit (BSI) im Dezember 2023 veröffentlichte Leitfaden zur »Sicheren Nutzung von Edge-Computing« dienen. Dass sich das BSI (erstmals) so eingehend mit Edge Computing beschäftigt, unterstreicht die Bedeutung des Themas.

Als zentraler Bestandteil eines integrierten Sicherheitskonzeptes sollte das im Cloud-Umfeld etablierte Modell der geteilten Verantwortung auf den Edge-Betrieb erweitert werden (wie in diesem Beitrag diskutiert).  Die Klärung der geteilten Verantwortlichkeiten (wie im BSI-Leitfaden angeregt ) erfordert wiederum eine enge Abstimmung mit den Anbietern von Cloud- bzw. Edge-Infrastrukturdiensten.

Zusammenarbeit mit Anbietern von IT-Infrastrukturdiensten

Insgesamt gilt es, die Zusammenarbeit mit Anbietern von IT-Infrastrukturdiensten im Zuge der Neuausrichtung des IT-Infrastrukturbetriebs neu zu justieren. So deuten die Ergebnisse der aktuellen Edge-Computing-Studie von gridscale darauf hin, dass die Unternehmen nicht nur Cloud-, sondern auch Edge-Computing-Services verstärkt von externen Dienstleistern beziehen wollen. Spezialisierten Dienstleistern fällt es schließlich leichter, IT-Spezialisten für dieses Thema zu gewinnen und zu binden. Sie können skalieren und sind so auch besser in der Lage, die zunehmenden Anforderungen an den IT-Infrastrukturbetrieb effektiv zu adressieren.

Bei der Auswahl der Edge-Provider, so zeigt die Studie weiter, werden in der Regel Anbieter bevorzugt, die in der Lage sind, Cloud- und Edge-Services über eine einheitliche Plattform zu steuern. Was ebenfalls nicht verwundert: schließlich geht die skizzierte Neuausrichtung des IT-Infrastruktur-Betriebs mit steigenden Anforderungen an Administration und Sicherheit einher (siehe rechts). Unternehmen mit begrenzten IT-Ressourcen dürften kaum in der Lage sein, den damit verbundenen Management(mehr)aufwand zu tragen. Folglich wenden sie sich bevorzugt an Anbieter von integrierten Cloud-Edge-Angeboten.

Der Bedarf nach Unterstützung durch externe Partner beim Angebot von Edge Services ist …

edge bedarf externe partner

Anbietermarkt sortiert sich neu, integrierte Edge-Cloud-Angebote in den Startlöchern

Allerdings finden sich bislang kaum Anbieter, die Cloud und Edge Services (an den gewünschten Lokalitäten) aus einer Hand anbieten und managen. Was auch erklärt, warum das Cloud-Geschäft stagniert. Denn während der Markt für Cloud-Standarddienste wie E-Mail, Office oder Kollaborations-Werkzeuge mehr und mehr gesättigt ist, gibt es zur Unterstützung von Wachstumsthemen wie der KI-gestützten Prozessdigitalisierung bislang kaum (ausgereifte) Angebote. 

Das bedeutet nicht, dass sich die Anbieterlandschaft bei diesem Thema nicht bewegt. Im Gegenteil. Der Ausbau der Infrastrukturen zur Bereitstellung von Edge-Diensten ist bereits im Gange. So hat beispielsweise OHVcloud als Public-Cloud-Anbieter in diesem Jahr damit begonnen, neue Serverstandorte zur Bereitstellung von Edge-Diensten (so genannten Local Zones) in der Nähe größerer Metropolen bzw. Wirtschaftszentren aufzubauen. OVHcloud-Kunden mit Standorten in Amsterdam, Zürich oder Marseille können so heute bereits neben den Public-Cloud- auch Public-Edge-Infrastrukturdienste zur Unterstützung der Anwendungen vor Ort in Anspruch nehmen – und diese über ein einheitliches Steuerungssystem managen.           

Der IT-Infrastruktur-Services-Markt sortiert sich im Zuge des Edge- und KI-Trends sowie des steigenden Interesses an KI-gestützter Prozessdigitalisierung gerade neu. Im Ergebnis dieser Entwicklung dürften integrierte IT-Infrastruktur-Services-Angebote mit lokal verteilten Public-Edge- und zentral bereitgestellten Cloud-Diensten, die sich ganzheitlich managen lassen, deutlich zunehmen und reifen.

Fazit: Neuausrichtung fordert Dienstleister, Unternehmen und Marktbeobachter

Die KI-gestützte Prozessdigitalisierung birgt immenses Potenzial, erfordert aber eine Neuordnung des IT-Infrastrukturbetriebs.  Anwender, Anbieter und Auguren sind gefordert, die Cloud-Migration ein Stück weit neu zu denken und notwendige Anpassungen vorzunehmen:

  • IT-Anwenderunternehmen sollten vor dem Hintergrund des steigenden Bedarfs an KI-gestützter Prozessdigitalisierung ihre Cloud-Strategien und Ansätze für den IT-Infrastruktur-Betrieb überprüfen und ggf. neu justieren. Ziel ist es, einen für die geplanten Anwendungsfälle optimalen Mix an Cloud- und Edge-Infrastrukturservices bereitzustellen. Dabei gilt es, den Betrieb ganzheitlich zu managen und abzusichern. Vor dem gleichen Hintergrund sollte auch die Sourcing-Strategie überprüft und die Zusammenarbeit mit zukunftsfähigen Dienstleistern ausgebaut werden.
  • Dienstleister im IT-Infrastruktur-Services-Markt sollten überprüfen, wie es ihnen gelangen kann, Edge und Cloud Services (an den geforderten Lokalitäten) aus einer Hand anzubieten und zu managen. Sind sie dazu aus eigenen Kräften nicht in der Lage, was bei vielen lokalen Rechenzentrumsbetreibern der Fall ist, sollten sie geeignete Partnerstrategien definieren und umsetzen.
  • Marktbeobachter, Berater und Studienautoren sollten ihre Ansätze zur Strukturierung des IT-Infrastruktur-Services-Marktes überdenken – und hierbei insbesondere Edge Services als integralen und zunehmend wichtigen Bestandteil des Angebotsmixes berücksichtigen. Mit herkömmlichen Klassifizierungen (in Public- und Private Cloud Services) – wie sie unter anderem in der Bitkom-Studie verwendet werden – lässt sich die aktuelle Dynamik im Cloud-Geschäft nicht ausreichend abbilden. 

Dr. Andreas Stiehler

Dr. Andreas Stiehler begleitet als IT-Analyst, Autor und Berater seit mehr 20 Jahren Forschungs- und Beratungsprojekte zum digitalen Wandel. Seine Kernthemen sind hierbei Digital Work & Digital Workplace, Kundenservice im digitalen Wandel sowie das Management von Wissensarbeit(ern). Der promovierte Volkswirt mit Schwerpunkt auf Verhaltensökonomie setzt sich dafür ein,
den digitalen Wandel ganzheitlich zu betrachten und dabei die Menschen stärker in den Fokus zu rücken.

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