Aussichten 2024:
Die Cloud wird »edgier«
Wird das Jahr 2024 für Edge Computing den Durchbruch bringen und das Cloud-Geschäft nachhaltig verändern? Diese Frage stand im Fokus des Local Summit von OVHcloud am 30. November in Köln. Was kaum verwundert: Der »Eintritt in den wachstumsstarken Edge-Computing-Markt« war laut OVHcloud schließlich ein zentraler Grund für die Übernahme von gridscale im Sommer 2023. So wurden auf der Kundenveranstaltung auch erstmals die »Local Zones« vorgestellt – ein neuartiges, gemeinsam mit gridscale entwickeltes Edge-Services-Angebot.
IT-Analyst Dr. Andreas Stiehler, der selbst an der Podiumsdiskussion zum OVHcloud Summit teilnahm, fasst in seinem Ausblick auf das Edge-Jahr 2024 seine wichtigsten Erkenntnisse von der Veranstaltung zusammen.
Bestandsaufnahme 2023
Cloud-Migration auf Hochtouren,
Edge noch am Beginn
Seit einem Jahr beschäftige ich mich als Autor und Analyst im Auftrag von gridscale intensiv mit dem Thema Edge Computing und dessen Implikationen für den deutschen Mittelstandsmarkt. Gemeinsam mit gridscale-Geschäftsführer Henrik Hasenkamp sondierten wir Studien, werteten Architekturmodelle aus und sprachen mit Marktteilnehmern. Im Ergebnis entstand eine neue Analysereihe, die bereits drei Publikationen umfasst. Gleichzeitig reifte unsere Überzeugung, dass das Thema in naher Zukunft immens an Bedeutung gewinnen wird.
So weit so gut. Doch wie hat sich der Edge-Markt in den letzten Monaten weiterentwickelt?
Ehrliche Antwort: Wir sprechen hier immer noch von einem »zarten Pflänzchen«.
Während die Cloud-Migration heute auf Hochtouren läuft, befindet sich die Umsetzung von Edge Computing noch immer am Anfang.
Innovative datenbasierte Geschäftsmodelle und großflächige Automatisierungslösungen, deren Betrieb eine Edge-Architektur erfordern, werden bislang nur von vereinzelten Unternehmen umgesetzt und laufen zumeist noch im Testbetrieb.
OVHcloud löst mit Ausbau der Local Zones einen Flaschenhals auf
Dass die nächste Stufe der digitalen Transformation vielfach noch nicht gezündet würde, liegt auch und insbesondere an bislang oft noch unzureichenden bzw. unausgereiften Angeboten von Seiten der Technologieanbieter. Im Showroom sieht das intelligente Management von Ladenregalen, Industrieanlagen oder Agrarbetrieben, ebenso wie der Einsatz von KI-Anwendungen zur Früherkennung von Krankheiten oder zur Steuerung autonom arbeitender Fahrzeuge, wunderbar einfach aus.
In der Praxis aber müssen für die Umsetzung solcher Use Cases zahlreiche Hindernisse überwunden werden. So müssen Massen an Daten generiert und verarbeitet werden. Dafür aber bedarf es einer hocheffizienten Computing-Infrastruktur, die heute zumeist (noch) nicht im Standard erhältlich ist.
Vor diesem Hintergrund ist bemerkenswert, dass mit OVHcloud nun ein führender europäischer Cloud Provider ein ambitioniertes Programm zur Inbetriebnahme lokaler Rechenzentren mit geringeren Server-Kapazitäten in der Nähe großer Metropolen und Industriezentren ankündigt.
Tatsächlich nimmt OVHcloud Anfang 2024 bereits zwei der so genannten »Local Zones«, in Brüssel und Madrid, im Betrieb. Im Jahr 2024 sollen im Wochenrhythmus weitere Local Zones hinzukommen.
Unternehmen, die in der Nähe eines solchen lokalen Rechenzentrums geschäftlich aktiv sind, sind nun mit Hilfe der lokal bereitgestellten OVHcloud Infrastructure Services in der Lage, Anwendungen vor Ort mit minimalen Latenzen zu betreiben. Wichtig dabei: Infrastrukturdienste aus den Local Zones lassen sich mit denen aus den zentralen OVHcloud-Rechenzentren flexibel kombinieren und die Gesamtlösung (mit Hilfe des integrierten gridscale-Betriebssystems) ganzheitlich managen.
Mehr noch: In absehbarer Zeit, so die Ankündigung der OVHcloud-Verantwortlichen, steht den Unternehmen ein ganzes Netzwerk an Local Zones für die Bereitstellung von Infrastructure Services zur Verfügung. Damit wird es für die Kunden möglich, latenzsensible Anwendungen (z. B. Streaming oder Gaming) ohne Qualitätsverlust flächendeckend zu betreiben bzw. für die Kunden anzubieten.
Mit dem Ausbau der Local Zones durch OVHcloud wird ein klassischer Flaschenhals, welcher der Realisierung innovativer Use Cases entgegensteht, aufgelöst.
Aussicht 2024
Das Cloud-Edge-Kontinuum entfaltet sich
Der Aufbau datenbasierter Geschäftsmodelle und die Ausweitung von Automatisierungsaktivitäten dürften also durch den Ausbau lokaler Infrastruktur-Services-Angebote über kurz oder lang deutlich forciert werden. Gut so! Welche Dynamik ein funktionierendes Angebot für die gesamte Marktentwicklung auslösen kann, erleben wir schließlich gerade im KI-Umfeld – wo der Launch von ChatGPT einen regelrechten Hype begründete.
Kann man für 2024 einen Edge-Hype, ähnlich dem Cloud-Hype vor einigen Jahren oder dem KI-Hype heute, erwarten? Eher nicht. Der Aufbau des Local-Zones-Netzwerks braucht sicher noch etwas Anlaufzeit, ebenso wie die darauf aufbauende Errichtung innovativer Lösungen. Unwahrscheinlich ist auch, dass »Edge« in der Kommunikation eine ähnliche Relevanz erfahren wird wie der Cloud-Begriff – was jedoch nicht weiter schlimm ist. So ist die Edge-Entwicklung ja auch gar nicht darauf gerichtet, die Cloud abzulösen, sondern ein Mehr an Möglichkeiten zu schaffen, Möglichkeitsraum hin zu einem Cloud-Edge-Kontinuum.
Es lässt sich also vielmehr erwarten, dass mit Ausbau von Local-Zone-Netzwerken lokale Infrastruktur-Service-Angebote im Computing-Mix der Unternehmen an Relevanz gewinnen – und so das Cloud-Paradigma zugunsten eines sich immer weiter entfaltenden Cloud-Edge-Kontinuums aufgeweicht wird. Landläufig könnte man auch sagen: Die Cloud wird 2024 »edgier«. Damit verbunden dürfte auch der KI-Einsatz zum Ausbau datenbasierter Geschäftsmodelle und Automatisierungslösungen weiter zunehmen – Stichwort: Edge-AI. Und vielleicht blicken wir ja dann rückwirkend auf 2023 auch als das Jahr zurück, in dem die nächste Stufe der digitalen Transformation gezündet wurde.
Und noch eine Vorhersage, bei der wir uns zu 100 Prozent sicher sind: Wir versorgen unsere Leserinnen und Leser auch im Jahr 2024 weiter mit Analysen und Einschätzungen zu aktuellen Trends und Innovationen rund um Betrieb und Management von IT-Infrastruktur. 😊
Bis dahin wünschen wir besinnliche Feiertage!
Dr. Andreas Stiehler
Dr. Andreas Stiehler begleitet als IT-Analyst, Autor und Berater
seit mehr 20 Jahren Forschungs- und Beratungsprojekte zum
digitalen Wandel. Seine Kernthemen sind hierbei Digital Work &
Digital Workplace, Kundenservice im digitalen Wandel sowie das
Management von Wissensarbeit(ern). Der promovierte Volkswirt
mit Schwerpunkt auf Verhaltensökonomie setzt sich dafür ein,
den digitalen Wandel ganzheitlich zu betrachten und dabei die
Menschen stärker in den Fokus zu rücken.
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