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IT-Fachkräftemangel und Diversity

Suchen wir Talente an der falschen Stelle?

Der Fachkräftemangel wird in der IT sehr intensiv diskutiert. Unternehmen suchen händeringend nach Talenten für ihre IT-Teams, trotzdem bleiben viele Stellen unbesetzt. Ein Grund dafür ist die Digitalisierungswelle, die einen erheblichen Bedarf an Computerspezialisten nun auch in Unternehmen geschaffen hat, die gar nicht zur IT-Branche gehören. Im Interview spricht gridscale CEO Henrik Hasenkamp über Strategien, Fachkräfte trotz aktueller Engpässe anzuziehen.

Nach einer Bitkom-Studie ist die Zahl der freien IT-Stellen auf 96.000 angestiegen. Das sind 12 Prozent mehr als im Vorjahr. Wie sollen Unternehmen mit dieser Entwicklung umgehen?

Ja, der Bedarf an IT-Fachleuten steigt stetig. Doch Unternehmen innerhalb und außerhalb der IT-Branche können viele Stellen durch ein überlegtes Vorgehen trotzdem besetzen. Wichtig ist eine offene, diverse und flexible HR-Planung. Sie trägt dazu bei, den verfügbaren Talentpool zu erweitern und Stellen schnell und vor allem langfristig zu besetzen. Ein wichtiger Aspekt dabei ist zum Beispiel die Flexibilität bezüglich Ort und Zeit der Arbeit.

Hier gab es ja durch die Coronakrise einen großen Wandel. Ist Homeoffice in den Unternehmen eigentlich noch ein Problem?

Viele Unternehmen haben das Thema über lange Jahre heiß diskutiert. Ausgerechnet eine der größten Krisen der letzten Jahre hat gezeigt, dass dieses Arbeitsmodell nicht nur möglich ist, sondern den Unternehmen auch Vorteile bringt. Entgegen vieler Erwartungen sank die Produktivität nicht. Entweder blieb sie auf gleichem Niveau oder sie stieg sogar an.

CEO Henrik Hasenkamp
Henrik Hasenkamp

Viele Heimarbeitskräfte freuen sich über den entfallenden Arbeitsweg und eine größere Flexibilität für Kinderbetreuung oder Pflege von Angehörigen. In diesem Zusammenhang ist Homeoffice jedoch nicht alles. Viele Menschen wollen weniger arbeiten als die üblichen 38 oder 40 Stunden pro Woche. Sie sind dazu bereit, etwas weniger Geld zu verdienen und dafür mehr Zeit für ihre Familie oder für Hobbys zu haben. Laut einer Bertelsmann-Umfrage wollen 41 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer, die im Moment in Vollzeit arbeiten, ihre Arbeitszeit reduzieren. Diese große Zahl zeigt, dass viele Unternehmen noch nicht auf den Bedarf reagieren.

Mitarbeiter im Homeoffice

Woran liegt das?

Zu viele Stellen sind immer noch auf den klassischen “9-to-5”-Job ausgelegt: Betriebe erwarten, dass Mitarbeitende mindestens acht Stunden an ihrem Schreibtisch sitzen. Speziell Eltern und Alleinerziehende haben aber oft keine Betreuung in diesem Umfang. Kita-Plätze sind noch immer rar gesät und die Verwandtschaft ist keine belastbare Alternative.

Dieser Mangel an Betreuungsmöglichkeiten kann genutzt werden, um Bewerberinnen und Bewerber gezielt anzusprechen: Unternehmen sollten Teilzeitmodelle ermöglichen und diese auch explizit ausschreiben. Zudem empfiehlt es sich besonders für größere Unternehmen, eigene Betreuungsmöglichkeiten oder Belegplätze zu organisieren, um Arbeitskräfte mit Kindern anzusprechen und zu unterstützen.

Vor allem für Mangeljobs in der IT-Branche ist das ja naheliegend. Sind „Women in Tech“ nicht inzwischen Alltag?

Klar, immer mehr Frauen interessieren sich für bisher männlich dominierte Bereiche. Doch viele Jobbeschreibungen richten sich vorrangig an männliche Bewerber. 

Meistens geschieht das nicht einmal bewusst. Es liegt an der Wortwahl der Unternehmen. So gelten bestimmte Begriffe eher männlich konnotiert, andere eher weiblich. Vor allem Attribute, die Hard Skills in Jobprofilen beschreiben, sprechen laut Umfragen der TU München eher Männer als Frauen an. Dazu gehören Begriffe wie eigenständig, selbstständig, zielorientiert, direkt oder bestimmt.

Glückliche Mitarbeiter

Frauen fühlen sich davon häufig nicht angesprochen. Sie reagieren eher auf Begriffe wie engagiert, zuverlässig und ehrlich. Unternehmen sollten ihre Stellenanzeigen genau analysieren und prüfen, ob sie nicht implizit einen männlichen Bewerber vor Augen haben. Ganz grundsätzlich sollten interessante Zielgruppen explizit genannt werden.

Nämlich?

Nicht deutschsprachige Beschäftigte zum Beispiel. In den letzten 30 Jahren hat sich die Arbeitswelt stark globalisiert, nicht zuletzt dank des Internets. Das gibt Unternehmen, die unter Fachkräftemangel leiden, besondere Chancen.

Durch nicht-muttersprachliche Menschen erhalten sie nicht nur das dringend benötigte Fachpersonal. Menschen anderer Kulturkreise bringen auch eigene Denkweisen und Erfahrungen mit, die das Team ergänzen, bereichern und neue Blickwinkel eröffnen.

CEO Henrik Hasenkamp

Deiner Meinung nach gibt es also ausreichend potentielle Bewerberinnen und Bewerber. Wie können sich Unternehmen darauf einstellen, tatsächlich alle Talente anzuziehen?

Der Arbeitsmarkt bietet Fachkräfte in ausreichender Anzahl, wenn ein Unternehmen seine Suchkriterien anpasst. Es muss nicht immer der männliche, deutschsprachige Programmierer in Vollzeit sein. Wenn Unternehmen in Zukunft bestehen wollen, müssen sie in der Personalarbeit althergebrachte Muster hinterfragen und offen für Neues sein.

Heute sind Angestellte nicht mehr bereit, sich zu 100 Prozent an den Job anzupassen. Vielmehr erwarten sie von ihrer zukünftigen Firma, dass sie ihre Bedürfnisse berücksichtigt. Dies betrifft Frauen mit Kindern oder alleinerziehende Väter genauso wie nicht-muttersprachliche Personen oder Menschen mit anderen Lebensentwürfen. Wir sind zum Glück endlich an dem Punkt angekommen, an dem die beruflichen Fähigkeiten entscheidender geworden sind, als die Möglichkeit, irgendwie in die Schablone einer 40-Stunden-Woche zu passen. So kann dem Fachkräftemangel aktiv entgegengewirkt werden.